Bahnland Bayern
“Bahnland Bayern” steht auf vielen Zügen des Regionalverkehrs in Bayern. Man will damit nahe legen dass in Bayern viel getan wird für den Bahnfahrer. In einem Staat, der von Auto- und Busherstellern beherrscht wird, erscheint das überraschend.
Ich bin oft im Fichtelgebirge. Bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten war diese Region in Nordbayern eines der bevorzugten Ausflugsziele der Berliner. Nach der Quälerei der Transitautobahn und den entsprechend Schikanen der Kontrollorgane war es die erste Region mit so etwas wie einem Berg, den ein Berliner in der freien westlichen Welt erreichen konnte.
Ehemaliger Bahnhof Zell
Ehemaliger Lokschuppen Zell
Das ist der Luxus den heutige Reisende in Zell erwarten dürfen
Zu dieser Zeit hätten diese Besucher das Fichtelgebirge auch mit dem Interzonenzug anfahren können. Das Gebirge, das grob durch die Eckpunkte Bayreuth, Hof, Selb und Marktredwitz definiert wird, war durch eine Vielzahl von Nebenstrecken erschlossen: Bayreuth – Warmensteinach, Neuenmarkt-Wirsberg – Bad Berneck – Bischofsgrün, Falls – Gefrees, Münchberg – Zell, Hof – Selb, Selb- Holenbrunn, Holenbrunn – Wunsiedel – Leopoldsdorf, Kirchenlamitz – Weissenstadt und Neusorg – Fichtelberg. Weitere Bahnen erschlossen das Umland außerhalb der Region die durch die genannten Eckpunkte definiert ist. Für die vielfach älteren Feriengäste der Region waren das wichtig.
Ehemaliger Bahnhof Weissenstadt
Nach der Wiedervereinigung hatte Nordbayern ein vielfältiges Problem. Die Urlaubsgäste aus dem Norden hatten jetzt für ihre Ausflüge näher gelegene Ziele zur Verfügung. Die Einheimischen stürzten sich sofort auf die billigen Restaurants und Einkaufs- und vor allem Tankmöglichkeiten im nahen Tschechien und fielen damit auch vielfach für die lokale Wirtschaft aus. Und die Winter, die der Region noch ein bescheidenes Einkommen als Wintersportgebiet ermöglicht hatten, fielen zunehmend wegen Schneemangel aus.
Zentrum Fichtelberg
Heute ist die Region ein Notstandsgebiet. Städte wie Fichtelberg, Bad Berneck oder Warmensteinach ähneln mehr einer Geisterstadt als einem Kurort. Der Freistaat Bayern, dessen Weitblick an der Donau endet, muss sparen. Es ist schon viel dass man einen Zuschuss für den Abriss eines baufälligen Hauses bekommt wenn man stattdessen einen Parkplatz anlegt. Für die bayerischen Karossen von zufälligen Besuchern, die sich in dieser Ecke verfahren sollten. Auf den neuen Parkplätzen kann man dann die Container zur Mülltrennung abstellen, die bald vom vergessenen Restmüll umgeben sein werden.
Geförderter Abrissparkplatz in Sparneck
Nun bin ich natürlich ein großer Freund von makabren Orten. Die findet man hier zuhauf und man sollte kommen bevor sie durch die geförderten Parkplätze ersetzt sind. Da wäre das Thermalbad in Fichtelberg, die Spinnerei vom Rogler in Gefrees, die ehemalige Brauerei Lindner in Fichtelberg, das Hotel Sonnenbichl in Warmensteinach, das Siemens Erholungsheim in Bad Berneck, um nur einige zu nennen. Wenn man den Mut zum halb legalen Einstieg in eine verlassene Ruine nicht hat reicht es auch durch die von verlassenen Gebäuden gesäumten Straßen von Arzberg, Fichtelberg, Warmensteinach oder Gefrees zu spazieren. Die meisten Gaststätten sind verschwunden nachdem die Einheimischen die letzten Jahrzehnte ihren Schweinebraten lieber nach dem billigen Tanken hinter der tschechischen Grenze verzehrt haben. Es empfiehlt sich daher eine Brotzeit und was zu trinken mitzunehmen, insbesondere wenn auf die unbayrische Idee kommt hier mit dem öffentlichen Nahverkehr reisen zu wollen.
Ruine Porzellanfabrik Arzberg
Womit ich endlich beim Thema bin. Von all den oben erwähnten Bahnstrecken sind noch anderthalb in Betrieb, die von Hof nach Selb (mittlerweile, das muss man der Ehrlichkeit halber sagen, verlängert ins tschechische As), und das Teilstück von Bayreuth nach Weidenberg der ehemaligen Bahnlinie nach Warmensteinach.
Ruine Fabrikantenvilla Arzberg
Ich will von Mehlmeisel ins Klinikum nach Bayreuth. Ein Weg den viele Einheimische für Behandlungen oder zum Besuch von ins Krankenhaus aufgenommenen Angehörigen machen müssen. Leute also denen mit einem vernünftigen Nahverkehr sehr gedient wäre. Mit dem Auto sollte man für die 38 km lange Route etwa 45 min nötig haben. Mit der schnellsten Busverbindung wäre es in 1h 20 zu schaffen.
Ein Freund in Mehlmeisel wäre so freundlich mich nach Warmensteinach zu bringen. Dort fährt jede Stunde ein Bus. Ich suche in meinem Telefon nach dem Fahrplan. Ein Bus bringt mich nach stündlich von Warmensteinach nach Weidenberg, von dort fährt der Zug auf dem Rest der ehemaligen Nebenbahn aus Warmensteinach bis Bayreuth. Am Bahnhofsvorplatz in Bayreuth sollte es dann einen Bus zum Klinikum geben.
Die Website zeigt dass es sich beim nächstfolgenden Bus um ein sogenanntes Ruftaxi handelt. Man muss mindestens 60 min vorher anrufen und einen Platz reservieren. Ich rufe etwa 50 min vor der geplanten Abfahrt an. Als nach geduldigem Läuten das Telefon endlich abgenommen wird erklärt mir die Person am anderen Ende dass ich jetzt für diese Verbindung zu spät dran bin. Sie könnte den Fahrer jetzt nicht mehr erreichen. Und überhaupt wäre ich auch der einzige potenzielle Fahrgast. Ich bräuchte also auch nicht an der Haltestelle zu warten denn das Taxi würde doch nicht fahren.
Wenn die Deutsche Bahn mal eine Anlage modernisiert so erfolgt das redikal und ohne Rücksicht auf historische Bausubstanz, Marktschorgast
Ich bin schon oft mit entsprechenden Ruftaxis gefahren, auch im Fichtelgebirge. Die Fahrer/innen sind immer freundlich und hilfsbereit. Sie sind auch immer umgeben von Telefonen da sie neben ihrer Rolle als Anruftaxi auch Fahrten für normale Taxikunden annehmen. Mit etwas gutem Willen sind sie also auch immer erreichbar.
Neuenmarkt Wirsberg am Fuss der Schiefen Ebene
Ich checke nochmals den Fahrplan und entdecke noch eine andere Verbindung ab Mehlmeisel über Fichtelberg. Dabei ist die selbe Telefonnummer für ein Ruftaxi angegeben. Ich rufe also nochmals an. Die selbe Stimme antwortet, mittlerweile mit leichter Ungeduld. Sie meint ich solle einfach an der Bushaltestelle in Mehlmeisel warten, da kommt schon was. Es givbt in der Tat einen Bus, der während der Woche viermal täglich, am Sonntag zweimal, Mehlmeisel mit Bayreuth verbindet. Für den Kenner ist dieser Bus eine Attraktion da er mit vielen Umwegen viele der abgelegenen Orte der Region wie Goldkronach, Bad Berneck, Bischofsgrün, Fichtelberg und Mehlmeisel verbindet. Aus Kostengründen hat man einfach alle diese Orte an die gleiche Buslinie angebunden. Als Transportmittel dagegen ist er von beschränktem Wert. Der Freund fährt mich hin. Keiner der verschiedenen, bei der Haltestelle angezeigten Streckenfahrplänen hat irgendeine Ähnlichkeit mit der Buslinie nach Bayreuth, die ich laut dem online-Fahrplan nehmen müsste. Andere Wartende sind nicht zu entdecken. Wir finden das Risiko, hier auf einen Bus zu warten der nie kommt, zu groß. Der Freund bringt mich also doch nach Warmensteinach, auch wenn ich dort dann weit über eine Stunde auf den nächsten Bus warten muss. Mir ist das ganze höchst peinlich weil ich dem Freund, ein begnadeter Mechaniker und Autonarr, in höchsten Tönen von den Vorteilen des öffentlichen Nahverkehrs erzählt habe. Mein Ruf ist dahin
Deutsches Dampflokmuseum Neuenmarkt Wirsberg. Als die Nebenstrecken im Fichtelgebirge noch im Betrieb waren fuhren dort die im Vordergrund stehenden Tenderloks der Baureihen 64 und 86 unf auf der Hauptstrecke die dahinter stehende 01
Ich bin in Nürnberg in die Schule gegangen. Früher wurde der jährliche Schulausflug per Bahn absolviert. Ich kann mich erinnern dass unsere Klasse einmal zusammen mit 1000 anderen Mitschülern und dem überforderten Aufsichtspersonal in einen Sonderzug nach Bayreuth verfrachtet wurden. Von dort fuhr der halbe Zug mit der halben Schule nach Warmensteinach weiter, die andere Hälfte nach Bischofsgrün. Wir sind dann von Bischofsgrün nach Warmensteinach gewandert, die anderen in der Gegenrichtung von Warmensteinach nach Bischofsgrün. Abends fuhren die beiden Züge wieder nach Bayreuth und dann vereint weiter nach Nürnberg.
Selbst wenn die Bahninfrastruktur noch existieren würde wären die deutschen Bahnen zu solchen speziellen Leistungen heute weder fähig noch daran interessiert. Entsprechende Schulausflüge ins Fichtelgebirge werden dann eben nicht mehr gemacht. Der seiner Züge beraubte Bahnhof Warmensteinach und die frühere Güterhalle sind wunderschön renoviert und beherbergen heute das Rathaus. Ein Stück weiter steht auch noch die Ruine des ehemaligen Lokschuppens. Das Dach ist eingestürzt aber durch die Ritzen in der Verbretterung der leeren Fensterhöhlen kann man noch die Gruben erkennen, die früher zur Inspektion und Abschmierung der Lokomotiven von unten benutzt wurden. Wie zum Hohn hat man zwei Wagenlängen des Gleises vor dem Bahnhof liegen gelassen.
Die Bushaltestelle neben dem ehemaligen Bahnhof ist nicht mehr als ein Schild mit Fahrplan an der Hauptstraße. Immerhin ist der Fahrplan hier deutlicher. Allerdings ist in diesem Abschnitt der Straße gerade eine Baustelle und die Straßenseite, auf der der Bus stoppen sollte, gesperrt. Ich würde gerne jemand fragen ob der Bus deswegen nicht ausnahmsweise heute wo anders hält. Auf der Straße ist niemand zu sehen. Aber neben dem Bahnhof beherbergt ein neu gebauter Kiosk eine Touristeninformation. Man hat diesen Kiosk sicher neu bauen müssen weil die vielen verlassenen Gebäude daneben auf einen Zuschuss zur Umwandlung in Parkplätze warten.
Eigentlich hätte ich erwartet dass die Touristeninformation zu ist. Ich bin daher positiv überrascht als die Tür sich öffnen lässt. Mein Blick schweift über einen Raum mit Schreibtisch und Regalen voller Reklameprospekte. Aus dem Nichts erscheint ein kleiner Hund und springt an mir hoch. Wenn da ein Hund ist muss es auch einen Besitzer geben, denke ich gerade als sich rechts eine Tür öffnet und eine Frau entschuldigend auf mich zu läuft und mich vom Hund befreit. Vom Busfahrplan weiß sie nichts, sucht aber in der Vielzahl der Faltblätter nach Informationen. Von der Baustelle weiß sie auch nichts, der Bus würde immer hier an der Straße halten. Dann verzieht sie sich mit dem Hund im Arm wieder in das Seitenzimmer während ich einen Blick auf die Prospekte in den Regalen werfe.
Ruine Lokschuppen, Warmensteinach
Ein Versuch mit der Uber App liefert hier nur einen leeren weißen Schirm. Also hab ich immer noch mehr als eine Stunde Zeit bis der Bus abfahren soll. Weiter oben entdecke ich einen Bäcker. Es ist eines der wenigen Gebäude an der Hauptstraße die einen bewohnten Eindruck machen. Ein paar Tische draußen sind mit Bauarbeitern besetzt die die Sonne genießen. Drinnen hat die Verkäuferin die Musik so laut gedreht, dass sie eintretende Kunden nicht zu hören braucht. Widerwillig macht sie mir einen Cappuccino und stellt ihn mit einem Stück Kuchen auf die Ladentheke. Zucker kann ich auf einer anderen Theke finden.
Bäckerei, Hauptstrasse Warmensteinach
Ich versuche die Zeitung zu lesen aber die Musik ist zu laut. Ich kann mich nicht konzentrieren. Also trinke ich schnell meinen Kaffee, schlinge den Kuchen runter und bringe das dreckige Geschirr zurück zur Theke. Die Verkäuferin bemerkt meinen schnellen Abgang nicht. Mit dem Rücken zu mir ist sie mir ihrem Telefon beschäftigt und meinen Gruß kann sie wohl nicht hören.
An der Bushaltestelle hat man keine Bank für wartende Fahrgäste hingestellt. Ein Stück weiter hinter der Touristeninformation gibt es aber ein paar der üblichen Picknicktische die für den Autofahrer praktisch neben ein paar leeren Parkplätzen stehen. Wenn man allerdings mit dem Bus fahren will ist es gefährlich hier sitzen zu bleiben denn man hat das Risiko dass der Bus einfach vorbeifährt wenn keiner am Haltestellenschild steht. Neben den Picknicktischen hat man eine aufwändige Überdachung konstruiert. Der Zweck des Dachs bleibt allerdings unklar. Hätte man zumindest einen der Picknicktische unter das Dach gestellt dann könnte ich jetzt dort im Schatten sitzen. Bei Regen wäre ein Dach auch kein überflüssiger Luxus. Aber man kann nicht alles zugleich haben: entweder ein Sitz, oder ein Dach, oder eine Fahrt mit dem Bus.
Ich blicke mich um. An sich ist es bewundernswert wie viel die 2000 Einwohner Gemeinde Warmensteinach mit einem Steuereinnahmeaufkommen von nicht mehr als 1.5 Millionen Euro alleine hier in meinem Blickfeld gemacht hat. Da ist das neue Gebäude der Touristeninformation, in dem eine Angestellte vergeblich auf Interessenten wartet. Die Renovation des Bahnhofsareals muss ein Vermögen gekostet haben. Auf der anderen Seite der Steinach, der Bach, der den Ort durchfließt und ihm den Namen gegeben hat, hat man einen gepflegten Kurpark angelegt. Er ist menschenleer. Fördersätze die der Freistaat Bayern für Baumassnahmen an die armseligen Gemeinden in Nordbayern vergibt sind auf maximal 35% begrenzt während man an reiche Gemeinden wie Bad Tölz oder Wolfratshausen in Oberbayern 60% der Kosten als Förderungszuschuss gibt.
Hauptstrasse Warmensteinach
Die Bahnlinie nach Warmensteinach wurde 1993 eingestellt. Nach langem Hin- und Her wurde der untere Bereich bis Weidenberg durch den Landkreis Bayreuth wieder in Betrieb genommen. Die Züge sollen dort jetzt angeblich kostendeckend fahren. Der obere Bereich der Streckt wurde abgebaut da der Freistaat Bayern sich weigert für den Betrieb einen Zuschuss zu bezahlen. 2018 wurde auf der Trasse ein Radweg angelegt. Bayern fordert für den Betrieb von Bahnstrecken eine Mindestbenutzung von 1000 Reisenden pro Tag. In einer Prognose wurde diese Zahl für den Streckenabschnitt Weidenberg – Warmensteinach nicht erreicht. Eine Mindestbenutzerzahl für einen Radweg gibt es offenbar nicht. Während mehrerer Besuche in Warmensteinach und entsprechender Wartezeiten am Bahnhof habe ich erst ein einziges Mal einen Fahrradfahrer gesehen. Ein älterer Mann, der wohl eben innerhalb des langgestreckten Ortes eine Besorgung gemacht hatte und wenig später zurück kam.
Verlassenes historisches Gebäude, Warmensteinach
Die Benutzung des Fahrradwegs wird auch Touristen nicht leicht gemacht. Es gibt praktisch keinen Fahrradverleih im Fichtelgebirge. Radwege beginnen und enden inkonsequent weil das Geld für ein vollständiges Wegenetz fehlt und die Topographie mit steilen Berghängen und engen Gebirgstälern die gleichzeitige Anlage einer Fahrradbahn und einer für den Schnellverkehr breit ausgebauten Straße unmöglich macht. In Abschnitten ohne Radweg auf der Straße selbst mit dem Rad zu fahren kommt einem Selbstmordkommando gleich. Ich weiß es. Ich hab es probiert. Trotzdem hat man große finanzielle Anstrengungen unternommen und überall Wegweiser für diejenigen aufgestellt, die sich doch mit ihrem Fahrrad hierher verirren. In manchen Landkreisen schleppen die unregelmäßig auftauchenden Linienbusse auch noch einen Anhänger hinter sich her auf den sich auch im Sommer kaum jemals ein Fahrrad verirrt.
Radweg auf der Trasse der stillgelegten Bahn nach Weissenstadt
Zur Abfahrtszeit des Busses nach Weidenberg hat sich ein knappes Dutzend wartender Fahrgäste versammelt. Einige davon wollen wie ich in Weidenberg den anschließenden Zug nach Bayreuth nehmen. Die werden unruhig als die Ankunft des Busses auf sich warten lässt.
Als er endlich eintrifft handelt es sich um einen Kleinbus dessen Platzkapazität bedrohlich knapp ist für all die Wartenden. Nach ängstlichem Gedränge passen gerade alle rein. Wie hier so wie durch den Fahrplan versprochen noch ein Fahrrad oder Rollstuhl transportiert werden soll ist mir unklar. Eine Verladung etwa auf dem Dach würde außerdem noch zu einer zusätzlichen Verspätung führen. Falls der Bus pünktlich ist hätte man in Weidenberg 11 Minuten zum Umsteigen. Der Fahrer probiert auf der kurvenreichen Bergstraße bergab Richtung Weidenberg sein Äußerstes um einen Teil der Verspätung wieder einzuholen.
Als wir schließlich in Weidenberg ankommen blinkt am Bahnübergang das rote Licht. Im gleichen Moment in dem er den Kleinbus ankommen gesehen haben muss fährt der Zug ab. Der nächste geht in einer Stunde. Eine Frau kommentiert dass sie jetzt gleich wieder mit dem Bus zurückfährt und dann doch das Auto nimmt. Ich selbst bin erst mal froh dass ich die Busfahrt überlebt habe.
Zeit genug um die Situation am Bahnhof Weidenberg zu erfassen. Immerhin gibt es hier noch ein Ausweich- oder Umfahrgleis. Ob es noch befahrbar ist kann ich nicht feststellen. Auf der rechten Seite, nach dem alten Bahnhofsgebäude, hat man einen neuen, hohen Bahnsteig angelegt mit einem Wetterschutz, der so spärlich ist dass er weder vor Sonne noch vor Regen schützen kann. Immerhin gibt es hier eine Fahrplananzeige. Die zeigt aber nur die Züge an – nach Bayreuth, einmal pro Stunde. Eine Anzeige von Busfahrzeiten gibt es nicht.
Das schöne Bahnhofsgebäude aus der Zeit der Königlich Bayrischen Staatsbahn steht leer. Auf der Straßenseite davon hat ein Schnellimbiss seine notdürftige Hütte aufgebaut und ein paar einfache Tische und Stühle ins Freie gestellt. Ein paar gelangweilte Männer trinken Bier in der Sonne. Getrennt vom Bahnareal durch eine schmale Brache sehe ich den riesigen, ordentlichen Parkplatz eines billigen Supermarkts. Den hat sicher die Gemeinde angelegt.
Der Bus für Reisende in und aus Richtung Warmensteinach hält auf der anderen Seite der Gleise. Eine Situation die zur Regelübertretung, also dem unbefugten Überschreiten der Gleise, geradezu aufruft. Man hat den Gleisbereich vom Straßenbereich mit einem der Billigzäune abgegrenzt die in Deutschland bei Bürger und öffentlicher Hand so beliebt sind. Für Zäune scheint immer Geld übrig zu sein. Der Zaun ist gerade hoch genug dass ein fitter Reisender, der umsteigen will, noch drüber klettern kann. So wird gleich eine Unterteilung der Reisenden in zwei Klassen getroffen: die fitten erreichen den Anschluss durch illegales Überklettern des Zaunes, und die anderen, mit Kinderwagen, Rollstuhl, Rollkoffer oder körperlichen Mängeln müssen maximal weit umlaufen, ganz bis zum Bahnübergang, der dann natürlich für die Abfahrt des Zuges schon rot blinkt, vor dem Zug über die Gleise und dann wieder zurück zum Bahnsteig. Warum der Bus nicht einfach vor dem alten Bahnhofsgebäude oder meinetwegen auf dem Parkplatz des Supermarkt, wo ja doch viele hinwollen sollten, hält, bleibt ein Geheimnis der Planer.
Bei langen Wartezeiten auf öffentliche Verkehrsmittel entstehen Freundschaften die bei entsprechender Wutsteigerung im zivilem Ungehorsam bis hin zu organisiertem Widerstand kulminieren können. Da es ja nirgendwo Toiletten gibt ist der erste Ansatz dazu meistens das wilde Pinkeln gegen einen Baum, Mast oder die Ecke des verlassenen Bahnhofsgebäudes. Dabei lerne ich Roland kennen. Auch er ist ein erfahrener Zugreisender. Er kommt aus Südbayern aber vermietet ein Haus in Warmensteinach. Allerdings nicht mehr lange. Er will es so bald wie möglich verkaufen. Für das Geld bekommt er in Ungarn ein schönes Anwesen. Mit zuverlässigem Bahnanschluss, wenn richtig gewählt. Kein Wunder dass die Zahl der Warmensteinacher langsam abnimmt.
Er behauptet auch dass die innige Beziehung der Lokalpolitiker mit dem Taxigewerbe einer der Hauptgründe war dass die Bahn nicht mehr weiter nach Warmensteinach fährt. Das würde auch erklären warum es keinerlei Koordination zwischen Bahn und Bus gibt. Der Bus wartet nämlich auch nicht, wenn die Bahn Verspätung hat. Man wolle erreichen dass der Busunternehmer einen Vertrag für die Durchfahrt bis Bayreuth selbst bekommt.
In fortschrittlichen Ländern kann man den zeitnahen Standort eines Busses oder Zuges in Google sehen und weiß wo er gerade ist. In der Uber App kann man auf Meter genau sehen wo sich die sehnsüchtig erwartete Fahrgelegenheit befindet. In Bayern sind sie noch nicht mal fähig eine Kommunikation zwischen einem Zugführer und einem Busfahrer herzustellen um etwaige Verspätungen weiterzumelden.
Am Geld kann es eigentlich nicht liegen, dass der öffentliche Nahverkehr in dieser verlassenen Ecke so schlecht ist. Warmensteinach liegt am Fuß des Ochsenkopfs, mit 1024 m der zweithöchste Gipfel des Fichtelgebirges. Dem Berg hat man gerade zwei neue Seilbahnen spendiert. Man kann den Gipfel jetzt mit einer Gondelbahn von Bischofgrün im Norden erreichen, die 25.7 Millionen Euro gekostet hat, und von einer Seilbahn aus dem Süden für 15.7 Millionen. Ob bei diesen Beträgen der neue Parkplatz, den man in den Wald planiert hat, schon inbegriffen ist, weiß ich nicht. Öffentlicher Nahverkehr, um die Bahnen zu erreichen, ist ja nur für den Abenteurer, der Parkplatz also nötig. Alleine auf der Südseite gab es ja bisher nur zwei Großparkplätze, da braucht man schon noch einen. Jede der Seilbahnen war dem Freistaat Bayern 7 Millionen Euro Zuschuss wert. Um für den Betrieb und Unterhalt bezahlen zu können gehen die verantwortlichen Politiker angeblich jetzt besonders eifrig in die Kirche um bei Petrus um Schnee zu bitten. Da man aber offenbar nicht genug an göttliche Segnungen glaubt will man jetzt weitere Millionen ausgeben um durch einen Mountainbike trail park und einen Kinderspielplatz am Gipfel Leute in die Seilbahn zu locken.
Zug nach Weidenberg im Haltepunkt Bayreuth Laineck
Endlich kommt der Zug. Dieses Mal kommt der Anschlussbus gerade noch rechtzeitig an. Während die fitten Umsteiger die Abkürzung über den Zaun nehmen beobachtet der Zugführer genüsslich wie sich die Krüppel mühsam Richtung Bahnübergang hetzen.
Als ich nach pünktlicher Ankunft in Bayreuth den belebten Bahnhof verlasse finde ich eine Vielzahl von Busbahnsteigen auf dem Bahnhofsvorplatz. Eine übersichtliche Anzeige wo und wohin welcher Bus fährt kann ich nicht finden. Das ist auch nicht nötig denn jeder hat ja Google und der weiss wo man hier den Bus Nummer 303 Richtung Klinikum nehmen muss. Die paar Leute die ich frage verweisen mich auf die Haltestelle an der Bahnhofsstraße. Als ein Bus mit der Nummer 303 kommt stellt sich raus dass ich auf der falschen Seite der Straße gewartet habe.
Nachdem ich zur richtigen Bushaltestelle auf die andere Straßenseite gewechselt bin nimmt mich eine freundliche tschechische Immigrantin unter ihre Fittiche und weißt mich in die Feinheiten des Bayreuther Busverkehrs ein. Man müsse hier aufpassen, denn der Bus würde keineswegs immer zum Klinikum fahren. Die nächste Haltestelle sei der zentrale Busbahnhof, und oft muss man dort den Bus wechseln obwohl der eigentlich offiziell die ganze Strecke durchfährt. Auch ein Busfahrer muss ab und zu mal. Ich bin froh dass ich sie getroffen habe. Ich hätte den Anschlussbus sicher nicht schnell genug gefunden.
Nach einer Reisezeit von 4 h für 38 km habe ich schließlich das Klinikum erreicht. Wie der Leser dieses Blogs leicht erkennen kann bin ich ein erfahrener Benutzer der öffentlichen Verkehrsmittel. Wenn selbst ich derartige Schwierigkeiten habe mich in Bayern, meiner Heimat, zurecht zu finden, wie muss das für einen Touristen oder gar einen Ausländer sein, der der schwer verfremdeten Landessprache nicht mächtig ist? Man kann viele Gründe nennen warum die bayrische Provinz bei Besuchern unpopulär ist – aber selbst wohlwollenden, die sich die Mühe gemacht haben, hierher zu kommen, wird es nach Herzen schwer gemacht.