Monday, July 10, 2023

Neue Leiden des jungen Bahnfahrers (3)

ICE 727 nach Nürnberg


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"Never marry a railroad man" (Shocking blue) 

Neuerdings verlangen sie für die Benutzung des grenzüberschreitenden ICE eine Sitzplatzreservierung. Offenbar gilt das nur für den Sommer um den Horden von Interrail Reisenden den Tag zu verderben. Die Bezeichnung Flexpreis bei der online Buchung des Fahrscheins wird damit ad absurdum geführt, da man obligatorisch eine Platzreservierung in einem bestimmten Zug bekommt und auch mit bezahlt.


The lessons we learn is not by school

Der Lautsprecher im Bahnhof Utrecht kündigt an dass es heute in diesem Zug kein Catering gibt. Die Ansage kommt so rechtzeitig dass sich jeder im Bahnhof noch mit Essen und Getränken versorgen kann. Glücklicherweise habe ich mein eigenes Lunchpaket mitgebracht.


Warten auf einen Zug, Utrecht CS

Als der Zug ankommt stellt sich raus dass man den Erlebniswert der Platzreservierung noch gesteigert hat dadurch dass nirgendwo im Zug angegeben wird welche Nummer der Waggon hat und welche Plätze reserviert sind. Die Anzeigen funktionieren nicht und es sind auch keine Lautsprecherdurchsagen zu hören.


Im ICE zwischen Utrecht und Düsseldorf

Ich habe bei der Buchung nicht genau auf die Platzwahl geachtet und merke, als ich nach dem Einsteigen in Utrecht meinen Platz gefunden habe, dass ich ein Abteil mit einer vierköpfigen Familie teile. Der Vater ist schwanger vom 3. Kind. In einem Abteil bin ich schon lange nicht mehr gesessen. Meine Mitfahrer sind auf dem Weg nach Düsseldorf um von dort nach Gran Canaria zu fliegen. Die Flüge sind von dort viel billiger. Begleitet werden sie von einer unglaublichen Menge an Gepäck. Der kleinere der Jungs hat einen roten Rollkoffer in der Form eines englischen Pavement 4x4. Er ist voller Spielsachen. Alles aus Plastik. Allerdings ist nichts davon geeignet den Jungen zur Ruhe zu bringen. Auch die gutgemeinten Ermahnungen der Eltern führen zu nichts. Die Zugfahrt ist zu lang und ungewohnt für ihn. Sein iPad hilft auch nicht weiter denn es gibt kein Wifi im Zug. Vielleicht verbirgt sich die Lösung in einer der vielen Taschen. In zwei Tagen ist sein 5. Geburtstag und die Tasche enthält ein enorm großes Geschenk.


Brücke über die Emscher im Ruhrgebiet

Der andere Junge versucht in einem Buch zu zeichnen. Er fragt seinen Vater was er zeichnen soll aber dem fällt auch nichts ein. Beide Eltern kämpfen mit dem Schlaf während die Söhne zunehmend aktiver werden. Der größere will vom Vater alle paar Sekunden wissen wie schnell der Zug wohl jetzt gerade fährt. Beeindruckende Werte werden dabei aber vorläufig nicht erreicht. Erst hinter Duisburg kommen wir als Krönung kurzzeitig auf 200 km/h.


Landschaft zwischen Utrecht und Oberhausen

Die Familie ernährt sich von high-energy food. Die Chipstüten gehen von Hand zu Hand. Vom im Zug anwesenden Catering haben sich die Eltern beide eine Flasche Weißwein gekauft. Die Kinder trinken aus irgendwelchen Dosen. Dazu gibt’s noch alles mögliche andere Junkfood aus Plastiktüten. Ich packe meine selber gemachten Sandwichs, Käse und Becher mit Tomaten, Gurken und Paprika aus. Dazu Leitungswasser aus wieder gebrauchten Plastikflaschen. Der kleine Junge sagt: „Guck Mama, leckere Tomaten.“ Sein Mama darauf: „Oh, Tomaten hätten wir auch mitnehmen können.“


Interrail in Düsseldorf

Ab Düsseldorf hab ich das Abteil für mich allein. Allerdings fährt der Zug jetzt nur noch stop and go bis Köln. Diesmal mache ich mir keine Sorgen. Der Anschluss-ICE nach Nürnberg muss doch hinter ihm herfahren, unabhängig davon wie viel Verspätung dieser Zug hat.


Köln Hbf

In Köln setzt sich ein Junge zu mir eins Abteil. Bemerkenswerterweise legt er nicht nur sein Telefon sondern auch ein Buch vor sich auf den Tisch. Er kann offenbar noch lesen. Er trägt ein t-shirt mit der Aufschrift Arequipa. Das interessiert mich. Komischerweise sind genau die Leute, die t-shirts mit einer Aufschrift wie etwa von Harvard oder Cambridge tragen, diejenigen die gar nicht wissen was die Aufschrift bedeutet. Dieser Junge war aber in Peru. Das Gespräch wandert dann von Reisen über Werner Herzog zu den Verhältnissen in Deutschland. Der Zug hat mittlerweile so viel Verspätung aufgebaut dass ich in Frankfurt ohne zu warten auf den anschließenden Zug nach Nürnberg umsteigen kann.

High speed zwischen Köln und Frankfurt

Dort suche ich gleich einen Platz im Speisewagen. Wegen Personalwechsel soll allerdings erst wieder nach der Abfahrt in Frankfurt bedient werden. Ein Elektrokarren mit den neuen Vorräten kommt aber an und alles wird schon mal verladen. Früher, also die Bahn noch Gepäck, Pakete und Post beförderte, hat jeder deutsche Bahnhof mindestens einen dieser Karren. Heute sind sie eine Seltenheit geworden. Ich frage mich ob es immer noch die gleichen alten Exemplare sind. Sie müssten dann ungefähr so alt sein wie die vier Rangierlokomotiven der Baureihe V60, die draußen vor der Halle des Bahnhofs auf eine Beschäftigung warten. Zeugen der guten alten Zeit.


Mein Zug sollte Frankfurt um 18.53 verlassen. Zehn Minuten später steht er immer und eine Ansage verkündet dass der Zug stattdessen um 19.13 abfahren soll. Der Grund, verkündet der Zugführer über den Lautsprecher, sei der am Gleis daneben stehende ICE 725. Der hätte vor einer Stunde in die selbe Richtung fahren sollen. Jetzt steht er neben uns, ist aber so lang dass er eine Weiche blockiert über die unser Zug ausfahren sollte. Man könnte aber in diesen Zug umsteigen. Er fährt ja in dieselbe Richtung und muss wohl erst abfahren. Ein paar der Gäste im Speisewagen packen ihre Sachen und verschwinden.


Frankfurt Hbf

Ich denke ein bisschen nach. Die Treppe zum Tunnel der die Gleise verbindet, ist direkt neben der Tür des Speisewagens. Ich packe meine Sachen, verlasse den ICE 727 und gehe durch den Tunnel auf das Nebengleis zum ICE 725. In den offenen Türen des Zuges kann ich die Leute schon stehen sehen. Obwohl er so lang ist, ist er brechend voll. Lieber komme ich doch 10 Minuten später an und habe einen Sitzplatz. Ich gehe also über die Treppen und den Tunnel zurück zum ICE 727, wo ich schweissüberströmt meinen alten Platz im Speisewagen wieder einnehme.


Frankfurt Hbf

Eine neue Ansage verkündet dass als neue Abfahrtszeit 19.39 vorgesehen ist. Aber nur falls der ICE 725 am Nebengleis bis dahin den Bahnhof verlassen hat. Aber für diesen Zug hat man bisher noch immer kein Personal gefunden. Über den Lautsprecher meldet der Zugführer, dass ihm die Worte fehlen um dieses Chaos zu erklären.


Nützlicher Gebrauch der Wartezeit

Ein paar Gäste – warum sind die alle Männlich? - sind schon deutlich angetrunken. Da im Speisewagen trotz der neuen Bevorratung noch immer nichts verkauft wird macht sich einer auf um einen Vorrat an Bier gegen seinen Durst in einem der Bahnhofskioske aufzufüllen.


60 Jahre alte V60 Rangierloks in Frankfort

Er ist gerade zurück, da fährt der ICE 725 am Nebengleis ab. Wenig später setzt sich unser Zug in Bewegung. Als er sich die Rampe aus dem Bahnhof Frankfurt hinauf schlängelt, gibt es eine neue Ansage vom Zugführer. Wir sollten doch mal nach links unten aus dem Fenster sehen. Dort steht nämlich in der Abstellanlage der ICE 725 mit all seinen hunderten von Fahrgästen und wartet. Nach unserer Abfahrt wird er in den Bahnhof zurück rangiert und wird dort weiter stehen bleiben bis sich das verschollene Personal eingefunden hat.


Zecher im Speisewagen

Wir haben jetzt 51 min Verspätung. Allerdings muss der Zug auch noch einen außerplanmäßigen Stopp in Frankfurt Süd einlegen. Dort ist das Personal für unseren Speisewagen gestrandet. Nachdem sie eingestiegen sind kann ich auch was zu essen bestellen. Die Betrunkenen freuen sich und der eine bestellt gleich zweimal Bier. Bis Würzburg schafft er noch 4 Pils, der andere bis Nürnberg noch 2 Weizen. Zusätzlich zu was sie vor der Ankunft in Frankfurt schon hatten.


Im Speisewagen

Bei einer Stunde Verspätung hat man das Recht 25% des Fahrpreises zurück zu fragen. bei 2h bekommt man 50%. Dazu gibt es auch ein online Formular. Nach einem neuen EU-Gesetz braucht die Bahn bei höherer Gewalt allerdings nicht mehr zu bezahlen. Bei den Halten in Aschaffenburg und Würzburg wird aber immer nur eine Verspätung von 59 min erreicht.


Mitreisender

Ich kommuniziere derweil mit einem Freund der gerade in Frankreich unterwegs ist. Er tröstet mich. Woanders sei es auch nicht besser. Von Montpellier nach Avignon hatte er 30 Minuten Verspätung, von Lyon nach Genf 1h10 min. Dafür genießt er von der schönen Aussicht. Davon kann von einem Teil der Route des ICE 727 keine Rede sein. Im Ruhrgebiet und Rhein-Main Gebiet durcheilt er eine apokalyptische Landschaft. Obwohl das eigentlich interessanter ist.



Medaillons vom Strohschwein im Speisewagen

Ein gewisser Restluxus ist noch übrig. Die Medaillons vom Strohschwein die ich im Speisewagen serviert bekomme, sind ausgezeichnet. Die Bedienung ist freundlich und schnell. Das haben sie in Frankreich auch nicht. Das Internet funktioniert auch wieder einigermaßen.



Ankunft in Nürnberg Hbf

Schräg gegenüber sitzt ein Taubstummer. Er telefoniert. In Zeichensprache. Soweit ich es begreifen kann regt er sich darüber auf dass sein Gesprächspartner zu viel Lärm macht. Obwohl er das doch eigentlich gar nicht hören kann?


Warten auf eine S-Bahn in Nürnberg

Es ist immer interessant nach zu sehen wie es den anderen geht. Nach dem Real-time Zuganzeiger der Bahn soll der ICE 725 jetzt nach Plan um 20.28 in Frankfurt abfahren. Schließlich wird daraus 20.34. Er hat dann eine Verspätung von 2h 41 min. Gut dass ich nicht umgestiegen bin. Im Endeffekt bin ich eigentlich nur eine halbe Stunde später am Ziel als wenn alles ohne Verspätung abgelaufen wäre. Recht auf eine Vergütung des Fahrpreises habe ich damit allerdings nicht. Und trotz der geringen Verzögerung hab ich jede Menge zu erzählen.


"Never marry a railroad,
he loves you every now and then
as part of his new, new train"
Shocking blue


Wednesday, July 5, 2023

Today's news

Road kill



One of today’s news items in the Guardian was that a French court has found the national rail operator SNCF guilty of negligence after a departing train ran over a cat in the station of Paris Montparnasse.

Apparently the cat had escaped from the travel bag of owners Georgia and her 15-year-old daughter Melaina. They said that their pet escaped from its travel bag and disappeared under a high-speed train. The owners tried for 20 minutes to get staff to rescue it. When the train departed, the cat was killed. “We saw him sliced in half” Melaina reported.

Reactions were fierce. The French interior minister, Gérald Darmanin, declaring himself to be “particularly shocked”. The animal rights body the Brigitte Bardot Foundation filed a complaint. A Paris court fined SNCF 1,000 € for “negligence”, while the SNCF was ordered to pay another 1000 € 9n damages to each of the pet’s owners.

What was the SNCF supposed to do? There were 800 passengers on the train waiting to leave for Bordeaux. Imagine you are one of them. You have settled down in your seat, open your phone to check facebook and write a loving note to a girl friend you are about to meet in Bordeaux and the announcement comes: the departure of this train is delayed because of an unauthorized cat on the track. You will be late for your date. Maybe you even have a connecting train to catch. Soon all traffic in and out of Paris Montparnasse station will have to stop to avoid the running over of cat hunters who have to cross tracks to go after the terrified animal. Maybe the pet even finds a way to climb into one of the overhead girders, so the electricity has to be shut off and the fire brigade with their long ladder has to be called in. More trains are delayed or canceled. Outside the station whole TGV units have to be evacuated since the air conditioning does not work any more since the electricity is turned off. The resulting mess is inconceivable. Nobody wants to be part of that. The costs for the train companies to refund tickets afterwards will be much higher than the fine imposed by the brave judge.

However, this verdict will have other unforeseen future consequences. Rail operators will try to avoid bad reputation and fines and prioritize animal safety over the running of their business. Pet owners short of money will release their honey in a station and call 112 in the hope they can pocket a fine when they are not caught. On the other hand, animals can be used intentionally to delay or block traffic, for example by releasing them on airport runways and motorways. Imagine extinction rebellion appears at their blockades with their favorite pets. It will take days to get a bunch of rabbits out of the danger zone when released on a runway of a major airport. Police can carry off activists from the motorway quite easily, but it will take them days to find their guinea pigs. I already look forward to the news on television broadcasting pictures of riot police with nets running after the little cuties on the tarmac.


If the verdict of the judge in Paris is generalized it will also be valid for all kinds of road kill. Every day far more pets are killed by motorists than by trains. Like in the case of the SNCF’s train it supposedly is not intentional. However, it should be avoided. The only possible solution is to require pet owners to always keep their animals on leash when outside. Otherwise traffic has to be stopped when a loose animal appears close to the road. High fines and compensations will have to be paid by motorists who kill or injure somebodies animal. With a similar possibility of abuse as outlined above.

Isn’t it, on the other hand, gross negligence of the owners to allow the cat to escape from the travel bag? People trespassing on a railway line as well as trying to obstruct or delay traffic get a fine. This does not only apply for railways but is also for the activists of last generation or extinction rebellion blocking a motorway. Intentionally or not, Georgia and her daughter did release their cat from the travel bag and therefore are to be blamed for the death of the cat and for disrupting traffic in the station of Paris Montparnasse. They ought to be fined, not the rail operator.


Source:
https://www.theguardian.com/world/2023/jul/04/french-rail-operator-sncf-fined-after-train-killed-cat-hiding-on-tracks