Friday, July 11, 2025

Neue Leiden des jungen Bahnfahrers (7)

Im ICE 858 zur Schwebebahn nach Wuppertal


Eigentlich hätte ich es schon in Dresden wissen müssen. In Dresden Neustadt fuhren hintereinander ab um 11.09 ein Intercity nach Hannover über Leipzig und um 11.12 nach Hamburg über Berlin. Ich hätte dann entweder in Hannover oder in Berlin Spandau in einen ICE nach Wuppertal umsteigen können. Ich hab dann den Zug über Berlin genommen. In Spandau wäre mehr als genug Zeit zum Umsteigen.


IC2546 bei der Ankunft in Dresden Neustadt

Der IC2546 war ein bisschen spät. Aber es ist ein tschechischer Railjet und damit um einiges komfortabler dann die unzuverlässigen Doppelstockzüge der Deutschen Bahn auf der Relation nach Hannover. Außerdem haben die tschechischen Züge einen echten Speisewagen mit einem vernünftigen Angebot und zusätzlich eine Minibar, die von einem beflissenen und freundlichen tschechischen Mitarbeiter durch die Gänge geschoben wird um die Reisenden, die sich nicht auf den Weg in den Speisewagen machen wollen oder können, mit Kaffee, Getränken und Snacks zu versorgen. In den IC Doppelstockzügen gibt es nur eine Selbstbedienungsbar wo die Kaffeemaschine meistens nicht funktioniert. Ich hab dem freundlichen Mann, der mit der Minibar vorbei kam, darum auch ein gutes Trinkgeld gegeben.


Berliner Szene

IC2546 hält nur in Berlin Südkreuz und Hauptbahnhof. In Spandau war er dann 12 Minuten zu spät, aber das war kein Problem, denn ich hatte doch noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt des ICE858 nach Wuppertal.


Umsteigen in Berlin Spandau

Spandau ist ein viel angenehmerer Ort zum Umsteigen dann die größeren Bahnhöfe innerhalb von Berlin. In jede Richtung gibt es nur einen Bahnsteig, das heißt man braucht sein Gepäck nicht über mehrere Etagen zu schleppen wie in Berlin Hauptbahnhof. Außerdem bietet das östliche Ende des Bahnsteigs einen herrlichen Blick auf die alte eiserne Brücke über die angrenzende Straße, die Havelbrücken in der Ferne und das Spandauer Rathaus mit seinem Turm. Bei der Beobachtung der ein- und ausfahrenden Züge kann man nebenbei die Leute anfeuern, die ihre Rollkoffer die Treppe rauf- und runterwuchten. Ob es eine Statistik gibt, wie viele Rollkofferräder beim Transport über Bahnhofstreppen ihren Geist aufgeben?


Spandauer Rathaus vom Bahnsteig gesehen

Seit langer Zeit wollte ich mal nach Wuppertal und mit der Schwebebahn fahren. Die 13.2 km lange Strecke ist einmalig in der Welt und hat Wuppertal daher zu einem gewissen Ruhm verholfen. Neben San Francisco und Valparaiso ist es wohl eine der wenigen Städte die hauptsächlich wegen ihres Transportmittels bekannt sind. Nur dass San Francisco oder Valparaiso noch anderes zu bieten haben, während ich in dieser Hinsicht was Wuppertal anbelangt meine Zweifel hab.


Schwebebahn Wuppertal bei der Haltestelle Hauptbahnhof

Ursprünglich gab es im engen Tal der Wupper eine Anzahl unabhängiger Städte wie Elberfeld, Barmen oder Vohwinkel. Durch den Fluss hatte hier die industrielle Revolution sogar schon vor dem Ruhrgebiet in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Das kam insbesondere durch die rasante Entwicklung der Textilindustrie. Da es sich um eine Vielzahl unabhängiger Gemeinden handelte gab es keine übergeordnete Stadtplanung. Ende des 19. Jahrhunderts war die Talsohle entlang des Flusses vollständig bebaut.


Schwebebahn Wuppertal bei der Haltestelle Hauptbahnhof wo auch eine der historischen Lampen überlebt hat

Schon im Jahr 1880 hatten die beiden Städte Barmen und Elberfeld zusammen 189.489 Einwohner, was der sechstgrößte Stadt im Deutschen Reich entsprochen hätte. Zu diesem Zeitpunkt war auch schon die seit 1868 durchgehende Bahnverbindung Hagen – Wuppertal – Köln in Betrieb. Es mangelte aber an einem lokalen Transportmittel. Pferdebahn oder endlich die elektrische Straßenbahn waren dem steigenden Verkehr nicht gewachsen der sich auf einer einzigen, beschränkten Achse entlang des Tals bewegen musste die durch Fuhrwerke und Kutschen verstopft war. Dazu kam die enorme Belastung durch Pferdekot. In London war 1870 die erste U-Bahn eröffnet worden. Man begann daher über eine Verlagerung des Verkehrs in eine dritte Ebene, in den Untergrund, nachzudenken, eine damals für Deutschland völlig neue Idee. Allerdings besteht der Untergrund hier aus Grauwacke, einem der härtesten Gesteine überhaupt. Der Bau einer U-Bahn wäre also entweder sehr teuer oder unmöglich geworden.


Schwebebahn Wuppertal bei der Haltestelle Hauptbahnhof

Da das Tal teilweise nur 500 m breit ist und bandförmig entlang der Wupper bebaut kam man auf die Idee eine Bahnverbindung über dem Fluss anzulegen. 1887 wurde eine „Hochbahn-Kommission", gegründet um ein geeignetes technisches Konzept zu suchen. Das Ergebnis kann aus heutiger Sicht eigentlich nur als technisch revolutionär bezeichnet werde. Denn nicht nur die gewählte einschienige Hängebahn (das Wort Schwebebahn ist eigentlich irreführend denn hier schwebt nichts) war völlig neu sondern auch die direkt auf die Laufräder wirkende „elektrische Dynamomaschine“, wie der Elektromotor damals genannt wurde. Selbst der (wenig erfolgreiche) Verkauf der Fahrkarten aus Automaten war eine Neuheit.


Zum Zug, in Spandau

Mittlerweile warte ich in Berlin Spandau immer noch auf den ICE858. Etwa 10 min vor der Abfahrt wird deutlich dass es da wohl ein Problem betreffend der Züge Richtung Westen gibt. In rascher Abfolge wechseln sich Lautsprecherdurchsagen mit kuriosen Erklärungen ab wie „verspätet wegen voriger Fahrt“, „fällt aus wegen kurzfristigem Fehler am Triebfahrzeug“ oder „verspätet wegen verzögerter Ankunft des Personals“. Ein ICE Richtung Hamburg fällt aus. Er erscheint dann allerdings doch wieder, aber unter einer anderen Nummer. Im Jargon der deutschen Bahn bedeutet das normalerweise dass ein anderer als der ursprünglich geplante Zug eingesetzt wird. Da dann die Sitzeinteilung anders ist entfallen die Reservierungen. Gutgläubige Reisende, die eine solche gemacht und bezahlt hatten, müssen dann halt genauso um einen Platz kämpfen wie alle anderen. Dasselbe passiert kurz darauf mit einem stark verspäteten ICE nach München, der den kuriosen Weg von Berlin nach München über Göttingen nimmt.


Bahnhofshalle Spandau

Auch beim ICE858 gibt’s neues. Er entfällt. Offenbar sollte die Zugfahrt von Berlin bis Hamm aus zwei Zugteilen bestehen, deren einer dann ab Hamm über Düsseldorf, der andere über Wuppertal nach Köln fahren sollte. Auf der Anzeigetafel heißt das „ICE848 heute ohne ICE858. ICE 858 entfällt“. Es ist auch gleich deutlich dass der wohl verkehrende Torso sicher nicht pünktlich ist.


ICE nach München in Spandau

Nach Verstreichen der Abfahrtszeit wird der wartende Reisende dann doch auch noch mit mehreren, abwechselnd in Deutsch und Englisch gegebenen Lautsprecherdurchsagen beglückt. Die eine weist darauf hin dass der ICE848 nach Berlin-Spandau über Hannover, Duisburg etc. verspätet ankommt und in Spandau getrennt wird. Die andere dass der ICE858 nach Berlin-Spandau über Wuppertal und Köln entfällt. Vielleicht sollte man bei der Verwendung von KI doch ab und zu überprüfen ob das Ergebnis tatsächlich intelligent ist.


Lokalzug und S-Bahn Berlin

Am Bahnsteig steht auch wartendes Personal. Ich frage also ob sie diese Ansagen besser verstehen als ich. Da wäre zum Beispiel die Zugtrennung: warum wird denn getrennt wenn ein Teil sowieso entfällt. Der junge Mann weißt darauf hin dass es sich dabei um eine betriebliche, also theoretische Trennung handelt. Wenn ich nach Wuppertal will dann soll ich halt bis Hamm fahren und dort würde es dann ja wohl Züge bis Wuppertal geben. Natürlich nur wenn ich eine gültige Fahrkarte habe. Ich muss ihn allerdings dann darauf hinweisen, dass mein Zug ja ausfällt. In diesem Fall verfällt ja auch die Zugbindung. Die Art der Fahrkarte ist also unwichtig. Dazu kommt dass ich ja das Recht hätte, bis Wuppertal mit einem ICE zu fahren während die deutsche Bahn ja offenbar nicht in der Lage ist ab Hamm ein solches Fahrzeug zur Verfügung zu stellen. Ich sollte also doch eigentlich Geld zurück bekommen….


Lokalzug in die brandenburgischen Dörfer

Ich bedanke mich bei den beiden für die freundliche und kompetente Auskunft und sehe erwartungsvoll der Ankunft des Zugttorsos entgegen. Mit erträglichen 10 min Verspätung kommt dann ein etwa 10 teiliger ICE der ersten Generation vor mir zum Stehen. Es wird sofort deutlich dass dieser Zug völlig überfüllt ist. Leute sitzen in den Eingängen und stehen in den Gängen. In einem der Waggons sind die Sitze mit den bekannten rot-weißen Absperrbändern blockiert. In diesem Waggon funktioniert offenbar die Klimaanlage nicht. Nach dem Einsteigen kommt auch gleich eine Durchsage mit dem Hinweis dass der Wagen 23 nicht verwendet werden darf. Man könnte ja alle anderen Wagen (und dann kommt eine Aufzählung der Nummern aller anderen Waggons der 2. Klasse) benutzen.


Abfahrt eines ICEs aus Spandau, der sein Ziel Berlin beinahe glücklich erreicht hat

Ich laufe ein paar Waggons durch den Zug, was gar nicht so einfach ist da ja so viele Menschen im Gang stehen, aber selbst im Speisewagen, der eigentlich meistens noch eine letzte Möglichkeit bietet, ist alles voll. Mittlerweile hat der kompetente Mitarbeiter, den ich schon am Bahnsteig zu schätzen gelernt habe, offenbar die Regie übernommen. Über Lautsprecher verkündet er dass der Zug erst abfahren kann wenn die Gänge und Eingänge frei von Gepäck und Reisenden wären. Natürlich weißt er auch darauf hin dass nur Fahrgäste mit einem gültigen Ticket mitreisen dürfen….. Und man könnte ja auch einen späteren ICE Richtung Hannover nehmen. Der wäre ja auch noch schneller am Ziel….. Der Hinweis darauf, die Nebensitze nicht mit Taschen zu belegen, darf natürlich auch nicht fehlen. Der Deutsche ist offenbar mittlerweile so kommunikationsgestört dass er nicht selbst darum bitten kann, dass eine Tasche entfernt wird. Es gibt aber sowieso keine freien Sitze, nicht einmal für Taschen.


Bahnsteig, Berlin Spandau

Das mit Taschen die Gänge und Eingänge blockieren, hat natürlich mit der immer imminenten Möglichkeit der Evakuierung des Zuges bei Störungen oder Gefahr zu tun. Interessant ist dass es aber in den ICE Zügen sowieso nur eine Tür, im Speisewagen, gibt, die man bei einer Evakuierung benutzen kann da nur dort eine entsprechende Leiter zur Verfügung steht. Taschen in Eingängen stehen also einer Evakuierung gar nicht im Weg da die anderen Türen bei einer Evakuierung ja sowieso nicht geöffnet werden können. Und niemand wird die Evakuierung durch eben diese eine Tür ohne sein Gepäck beginnen, also leeren sich auch die Gänge bei diesem immer am Firmament des Bahnwesens drohenden Ereignisses automatisch.


Bahnsteig, Berlin Spandau mit abfahrbereitem ICE 848

So bleibt der ICE848 vorläufig am Gleis 4 des Bahnhofs Spandau stehen. Das Personal rennt telefonierend außerhalb des Zuges auf und ab. Offenbar gelingt es nicht, genügend Fahrgäste aus dem Zug zu locken …. jeder weiß ja mittlerweile dass der Zugchef sein Problem des überfüllten Zuges nur auf den nächsten Zug übertragen will. Dann hat er selbst Ruhe und der Kollege hat Pech…. Und der Fahrgast weiß ja nicht ob der folgende Zug überhaupt kommt. Da nimmt man doch besser das, was man schon hat.


Ratlosigkeit vor den Türen des ICE 848

Ich selbst hab den ICE848 mittlerweile verlassen und beobachte das Geschehen vom Bahnsteig aus. Von dort kann ich dann spontan in den früher abfahrenden oder den leereren Zug springen. Mittlerweile ist es 14.27 und da sollte eigentlich schon der nächste ICE Richtung Wuppertal in Spandau ankommen. Auch der hat sich mittlerweile vom ICE566 in den ICE2960 umbenannt. Dazu erfolgt die Durchsage „ICE566 entfällt heute. In Kürze hat Einfahrt ICE2940 nach Berlin-Spandau über Wuppertal und Hannover“. Man braucht doch gewisse Intelligenz um die Aussagen der künstlichen Intelligenz richtig zu interpretieren.


Ratlosigkeit vor den Türen des ICE 848

Mittlerweile steht der überfüllte ICE848 schon länger als eine halbe Stunde am Bahnsteig in Spandau. Außer mir hat kaum einer den Zug verlassen. Hätte man den einen Waggon, in dem die Klimaanlage nicht funktioniert, auf eigenes Risiko des Reisenden freigegeben, dann hätte es keine Platzprobleme gegeben. Eine innovativ pragmatische Lösung wäre gewesen wenn man den abgesperrten Waggon für den Gepäcktransport freigegeben hätte…. aber vielleicht hat deutsches Gepäck ja auch ein Recht auf Klimatisierung. Und wenn der Zug gleich und ohne die ganzen weiteren Diskussionen abgefahren wäre hätte man in der Zwischenzeit schon fast Hannover erreicht, wo sowieso viele Leute aus- oder umsteigen. Durch die Wartezeit wird das Problem ja nur verschärft. Abgesehen davon, dass das bürokratisch sture Verhalten des Zugchefs der Deutschen Bahn eine Menge Geld kostet falls Leute durch verpasste Anschlüsse mehr als eine Stunde später am Ziel sind und deshalb einen Teil des Fahrpreises zurückfordern.


Rein bevor es zu spät ist

Schließlich, mit etwa 40 min Verspätung fährt der ICE848, überfüllt wie er ist, doch ab. Zum Umstieg in den kurz darauf einfahrenden ICE566 alias ICE2940 haben sich wenige entschlossen. Offenbar wollte man doch abfahren bevor letzterer ankam um eine Massenflucht in den anderen Zug zu vermeiden. Der ist nämlich genauso voll wie der ICE848.


Hinter Hannover

Der berlinernde Zugführer des ICE2940 packt die Überfüllung allerdings pragmatischer an. Er verweist die Leute darauf, am Zug nach hinten zu laufen, dort wäre noch viel mehr Platz. Auf diese Art und Weise verteilt sich die Überfüllung zumindest auf den gesamten Zug. Ich bekomme da sogar noch einen Sitzplatz, den jemand mit seiner Tasche beschlagnahmt hat. Der ICE2940 fährt dann mit einer gesunden Verspätung von etwa 20 min kurz nach dem ICE848 ab.


Historischer Führerstand eines Schwebebahn Wagens

Der Bau der Wuppertaler Schwebebahn ist eng mit dem Namen des Erfinders Eugen Langen verbunden. Langen greift den Gedanken einer Hochbahn über dem stinkenden Lauf der Wupper auf und konzipiert eine Hängebahn statt dem schon bekannten Prinzip einer Hochbahn, wo die Züge auf konventionellen Schienen wie auf einer Brücke fahren. Zur Erprobung seiner Idee lässt Langen 1893 in Köln-Deutz zwei Teststrecken errichten, mit einem Zweischienigen und einem Einschienigen Fahrzeug. Schließlich beginnt man über der Wupper mit dem schrittweisen Bau der einschienigen Variante. Ein Großteil der Fahrstrecke verläuft über dem Fluss, nur das letzte Stück zwischen dem Zoo und Vohwinkel über der Straße.


Historischer Schwebebahn Wagen

Noch bevor die Strecke eröffnet wird kommt schon der Kaiser Wilhelm zu Besuch und fährt ein Stück mit einem Wagen, der als Kaiserwagen heute noch erhalten ist. Damit werden die letzten Bedenken zerstreut dass das Teufelsding eine Gefahr darstellt. Die Eröffnung für den Normalbürger erfolgt dann im Jahr 1901.


Antriebsräder eines Schwebebahn Wagens deren Speichen durch die permanente Fahrt in eine Richtung verzogen sind

Die Züge der Schwebebahn laufen unter Rädern mit einem Doppelspurkranz auf einer Fahrschiene. Jedes Rad wird durch einen Fahrmotor angetrieben, der seinen Strom aus einer parallel zur Fahrschiene laufenden Stromschiene bezieht. Eine Sicherungskonstruktion verhindert dass das Rad aus der Schiene springen kann. Das einschienige Prinzip führt dazu dass die Wagen in Kurven durch die Zentrifugalkraft nach außen pendeln. Auch in den Stationen schwanken die Wagen, abhängig vom Gewicht der ein- und aussteigenden Fahrgäste, spürbar.


Auch bei der Schwebebahn gibt es eine Draisine

Die Züge sind Einrichtungsfahrzeuge. Türen gibt es nur auf einer Seite, und einen Führerstand nur an einem Ende. Bei den, ausschließlich verwendeten Waggons der neuesten Generation ist das andere Ende eine Panorama Glasscheibe die einen spektakulären Blick auf das darunter strömende Wasser der Wupper erlaubt. In den Endstationen in Vohwinkel und Oberbarmen muss der Zug dann wie die meisten Straßenbahnen langsam und quietschend durch eine enge Wendeschleife fahren.


Endstation Oberbarmen. Ein Zug durchfährt gerade die enge Kurve der Wendeschleife

In diesen Wendeschleifen und den dahinter liegenden Werkstätten gibt es auch die insgesamt neun Weichen der Schwebebahn. Es gibt zwei Typen, zwei Vierwegweichen (in Vohwinkel), die in ihrer Funktionsweise einer Segmentdrehscheibe und sieben Zweiwegweichen oder Schiebeweiche die in ihrer Funktionsweise einer Schiebebühne ähnlich sind.


Schwebebahn-Weiche in der Endstation Vohwinkel

Mittlerweile sucht sich der ICE2940 seinen zuversichtlichen Weg von Berlin Richtung Köln über Wuppertal. In Hannover ist er deutlich später als wenn ich den direkten Intercity ab Dresden genommen hätte. Von dort nimmt er die sehr sehenswerte, aber langsame Route über Hameln, Bad Pyrmont und Altenbeken. Am Display über dem Gang kann man sehen dass dabei häufig die halsbrecherische Geschwindigkeit von 80 km/h erreicht wird. Der Bewuchs neben der Trasse ist so üppig dass man zeitweise den Eindruck bekommt durch den afrikanischen Dschungel zu fahren. Glücklicherweise hat man doch ab und zu Lärmschutzwände in die Landschaft gestellt, die hier wohl hauptsächlich dazu dienen die wuchernde Vegetation vom Gleis fern zu halten.


Blick vom berühmten Viadukt in Altenbeken

Mit einer Verspätung von 30 min wird schließlich der Wuppertaler Hbf erreicht. Hier hab ich ein Hotel neben dem Bahnhof gebucht. Glücklicherweise erreiche ich nach einigem Suchen auch den Eingang ohne von einem Auto oder Linienbus überfahren zu werden. Zur Ehrenrettung des Hotels muss ich allerdings eingestehen dass ich die Fußgängerbrücke völlig übersehen habe, auf der man vom (Bus-)Bahnhof direkt zum Hoteleingang kommt. Vom Zimmer im 4. Stock kann ich dann auch einen ungetrübten Blicke über die Bahnanlagen und die Busbahnsteige genießen. Dazu gehört auch der Abgasgestank und Lärm der Wuppertaler Stadtbusse, die noch größtenteils mit Diesel betrieben werden. Deutschland liebt halt seine Verbrenner. Es ist natürlich meine Schuld wenn ich bei offenem Fenster schlafen will, denn wenn das Fenster zu ist hört und riecht man nichts.


Neubau für eine irische Billigkleidungskette auf dem Bahnhofsvorplatz in Wuppertal Einkaufsbahnhof Hbf

Immerhin hat man zwischen dem Eingang zum Hauptbahnhof, Pardon, Einkaufsbahnhof Wuppertal, und der Innenstadt für Radfahrer und Fußgänger durch eine Brücke über die entlang des Wuppertals führende Autobahn eine bequeme Verbindung geschaffen. Die entstandene Freifläche wurde mit Wuppertal’s bemerkenswertestem Beispiel moderner Architektur, der lokalen Filiale einer irischen Kette von Billig-Wegwerfmode, bebaut. Auf dem Platz diskutieren Gruppen von Jugendlichen mit einem Panel „Jesus lebt“ mit einer Gruppe Nordafrikanern, während deren verschleierte Frauen im Modehaus Kleidung kaufen die die Öffentlichkeit nie sehen wird. Dazwischen suchen ein paar Leute in den Mülleimern nach Pfand Leergut. Es ist sauber und es herrscht eine freundliche Stimmung.


Bahnhof Wuppertal Hbf der Schwebebahn in Elberfeld

Ein paar Schritte weiter steht man über der Wupper und unter der Schwebebahn vor dem Eingang zum Bahnhof Hauptbahnhof der Schwebebahn. Diese Station ist die Einzige, die noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erhalten ist. Das Erdgeschoss beherbergt ein italienisches Restaurant, von dessen Terrasse man einen hübschen Blick auf die Züge der Bahn und den Lauf der Wupper hat. Man braucht dann eigentlich nur noch Kopfhörer um den Lärm der hier den Tunnel verlassenden Autobahn auszublenden. Gerade die Geräuschverstärkung durch Tunnel wirkt besonders anziehend für jene Besitzer von Motorrädern oder entsprechend umfrisierter Autos, deren einziger Beitrag zum Funktionieren der westlichen Gesellschaft darin besteht möglichst viel Krach zu produzieren.


Der historisierend wieder aufgebaute Bahnhof Werther Brücke

Ein Großteil der anderen Stationen der Schwebebahn ist im Zuge einer generellen Modernisierung ab 1996 ersetzt worden. Dabei wurden die Stationen nicht exakt rekonstruiert sondern unter Berücksichtigung moderner Aspekte wie Licht, Sicherheit und Barrierefreiheit neu gebaut. Drei Stationen erhielten dabei die ursprüngliche historische Form: Werther Brücke, Völklinger Straße und Landgericht. Sie zeigen viele der Art-Deco Elemente, die beim Bau der Schwebebahn zur Verschönerung beitragen sollten.


Fußgängerzone Wuppertal

Der jetzige Hauptbahnhof bediente das Zentrum der ehemaligen Stadt Elberfeld. Bei der Vereinigung der verschiedenen Städte entlang der Wupper im Jahr 1929 hatte die neue Stadt Wuppertal plötzlich mehrere Zentren, Stadttheater, Konzertsäle oder Schwimmbäder. Das ehemalige Zentrum Elberfelds besteht heute aus einer großen Fußgängerzone, wo man neben dem üblichen Kommerz auch jede Menge Cafes und Restaurants und das von der Heydt Museum findet. Auch abends ist hier noch viel los und es fällt auf wie multikulturell die Bevölkerung ist. Auf den ersten Blick gehen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen auch rücksichtsvoll miteinander um.


Von der Heydt Museum

Ich setze mich auf die Terrasse eines Restaurants. Während ich auf mein Essen warte setzen sich zwei modisch gekleidete verschleierte Frauen an den Nebentisch. Schüchtern fragen sie den freundlichen Kellner etwas Unverständliches und die eine drückt ihm 20 € in die Hand. Verstohlen sehen sie sich in ihrer Umgebung um. Sie fühlen sich deutlich nicht am richtigen Platz. Dann bringt ihnen der Kellner zwei rötliche Getränke in einem Plastikglas mit Deckel und Strohhalm und sie ziehen erleichtert saugend weiter. Während ich hier sitze kommt ab und zu ein Bettler vorbei, der unaufdringlich nach Münzen oder Essensresten fragt. Ein Stück weiter zieht einer beglückt ein halb aufgegessenes Baguette aus dem Mülleimer und verzehrt es auf der nächsten Parkbank.


Im Restaurant

Am Fahrkartenautomat der Haltestelle Hauptbahnhof der Schwebebahn versucht eine Frau ihre Fahrkarte mit ihrer Bankkarte zu bezahlen. Weder der kontaktlose Leser (er ist ja gar nicht kontaktlos) noch das Einführen in den Kartenschlitz führt zum Erfolg. Bargeld hat sie keines. Für eine einfache Fahrt in der Preisstufe A wollen sie 3.60 €. Es steht allerdings nirgendwo wie weit man mit einer Fahrkarte dieser Preisstufe kommen kann. Als die nächste Bahn schwankend zum Stehen kommt steigt sie ein.


Historischer Bahnsteig

Erst spiele ich mit dem Gedanken es ihr gleichzutun und auch einfach einzusteigen. Allerdings ist gegenüber einer Einzelfahrt ein 24 Stunden Ticket mit 8.80 € deutlich angemessener gepreist, Immerhin kann ein fanatischer Schwebebahnfahrer damit einen vollen Tag hin und herfahren. Die Bezahlung mit Bargeld funktioniert und der Automat spuckt einen entsprechenden Zettel aus den man dann an einem Stempelautomat in der Bahn entwerten kann. Wie üblich ist der entsprechende Aufdruck praktisch unlesbar.


Historischer Bahnsteig

Der populärste Platz in der Schwebebahn ist vor der oben erwähnten großen Glasscheibe ganz hinten. Eine Frau ist so freundlich und überlässt mir ihren Platz direkt an der Scheibe. Direkt unter mir brodelt die Wupper. Eine Steigerung wäre nur noch ein Glasboden. Zufrieden lass ich mich nieder und starre auf die vorbeiflitzenden Pylone die die Fahrbahn tragen.


Antriebsdrehgestell am Bahnsteig

Schon als die Bahn in der nächsten Station schwankend zum Stehen kommt steigt ein Fahrkartenkontrolleur ein der mit detektivischer Präzision versucht den undeutlichen Stempel auf meiner Tageskarte zu dechiffrieren. Schließlich gibt er auf. Wenn er zu viel Zeit mit einem Fahrgast verbringt können die Schwarzfahrer bei der nächsten Station das Weite suchen bevor er den ganzen Wagen kontrolliert hat. So aber wird er schon ein paar Sitze hinter mir fündig…..


Alte Industriegebäude entlang der Wupper

Wuppertal war eine Industriestadt. Noch heute kann man bei der Fahrt mit der Schwebebahn eine Vielzahl von größtenteils verlassenen Gründerzeit Industriegebäuden bewundern, die entlang des Flusslaufs stehen. Viele tragen noch die alten Anschriften. Die Abwässer der Textilindustrie wurden ungereinigt von der Wupper abtransportiert. Der Fluss war normalerweise ölig schwarz, konnte aber auch rot, grün, gelb oder blau sein, je nachdem mit welcher Farbe die Textilien gerade gefärbt wurden. Mehr als hundert Jahre lang war die Wupper ein biologisch totes Gewässer und es war das letzte in der Bundesrepublik, bei dem eine gute Wasserqualität wieder hergestellt werden konnte. Trotzdem soll jeder Kubikmeter Wasser hier während seiner Reise durchs Tal 13 mal verwendet, gereinigt und wieder eingeleitet worden sein. Von oben aus der Bahn sieht es klar und sauber aus. Aber obwohl ein paar Gruppen im Grün neben dem Fluss sitzen sehe ich trotz der Hitze niemand der auch nur seine Füße ins Wasser gesteckt hat.


Bayer Industriekomplex

Flussaufwärts vor Vohwinkel fährt die Schwebebahn quer durch das enorme Gelände einer Niederlassung von Bayer. Die Anlagen des Konzerns teilen die langgestreckte, schmale Stadt hier in zwei Teile. Mittlerweile werden hier nur noch Pharmazeutika produziert aber man kann annehmen dass der Farbenhersteller zu seiner Zeit wesentlich zur Färbung des Flusses beigetragen hat.


Drei Brücken an der Haltestelle Zoo

Nicht weit davon, kann man von der Haltestelle Zoo ein Arrangement bewundern das bei jedem Modellbahnbauer als unrealistisch kritisiert werden würde. Hier kreuzen drei Brücken übereinander die Wupper. Zuunterst eine Straßenbrücke, darüber die Brücke der Schwebebahntrasse und als Krönung der elegante Natursteinbogen der viergleisigen Brücke der Bahnstrecke Wuppertal – Köln.


Sparkassenturm

Mittlerweile haben auch einige der modernen Gebäude den Status eines Denkmals bekommen, so der brutalistische Hochhausturm der Stadtsparkasse. Das ist wohl auch wegen der Konstruktionsweise bei der zuerst ein zentraler Tragepfeiler mit Treppenhaus und Liften gebaut wurde an dem dann die Stockwerke aufgehängt wurden. Im unteren Bereich ist nur der mittlere Pfeiler zu sehen, was dem oberen Teil etwas schwebendes gibt. Die spiralförmigen Treppenhäuser geben selbst der zugehörigen Parkgarage etwas künstlerisches. Man sieht das ganze allerdings in einem anderen Licht wenn man erfährt das für den Bau dieses Monstrums in den 1960ger Jahren das selbst im Krieg unzerstörte Art-Deco Thalia Theater abgerissen wurde.


Aufstieg zum Zug

Rolltreppen gibt es nicht in den meisten Stationen der Schwebebahn. In der Station Werther Straße ist der Aufzug kaputt. Eine Frau versucht mühsam eine Einkaufstasche hinaufzuschleppen. Auf jeder Stufe bleibt sie stehen, stellt die Tasche auf die nächste Stufe bevor sie selbst eine Stufe höher klimmt. Ich biete ihr an die Tasche für sie nach oben zu tragen. Im Nachbarland müsste sie dann damit rechnen dass ich mit ihrer Tasche verschwinde. Hier bedankt sie sich überschwänglich. Sie hatte einen Unfall und kann seither nicht mehr gut laufen. Ihr Danksagungen begleiten mich über mehrere Stationen bis sie irgendwann die Bahn verlässt.


Mit der Schwebebahn überbaute Straße in Vohwinkel

Zwischen der Station Zoo und Vohwinkel verlässt die Schwebebahn das Tal der Wupper und folgt der Sonnborner Strasse und Kaiserstrasse, wo der Ortsteil Vohwinkel durch ein enormes Autobahnkreuz in zwei Teile zerschnitten wird, die man nur mit der Schwebebahn überbrücken kann. Die Züge fahren hier direkt an den Fenstern auf der Höhe des 1. Stocks vorbei. Sollten deshalb die Zimmer im Hotel Schwaferts nur 22.50 € kosten?


Hotel an der Schwebebahn

Die Geräusche der Schwebebahn sind kaum lauter dann die des darunter vorbei brausenden Autoverkehrs. Die Wuppertaler selbst bezeichnen die Geräusche der Schwebebahn scherzhaft als „Bergische Sinfonie“.


Mit der Schwebebahn überbaute Straße in Vohwinkel


Kirche in Vohwinkel


Die Trassierung über der Straße bringt Gefahren mit sich: die Füße der Pylone, die die Fahrbahn der Schwebebahn tragen, sind mit dicken Betonabsperrungen vor unvorsichtigen Autofahrern gesichert. Schilder weisen darauf hin dass Kräne oder hohe Fahrzeuge mit den Zügen kollidieren könnten. Eine entsprechende Liste von Unfällen in Wikipedia führt in der Tat hauptsächlich Kollisionen dieser Art im dem Bereich auf wo die Trasse über der Straße verläuft.


Über der Wupper

Die Wuppertaler Schwebebahn gilt als das sicherste Verkehrsmittel der Welt. Der bemerkenswerteste Unfall betraf den halbwüchsigen Elefanten Tuffi. Am 21. Juli 1950 ließ der Zirkus Althoff das Tier zu Werbezwecken zwischen den Haltestellen Rathausbrücke und Adlerbrücke mit der Schwebebahn fahren. Das gefiel Tuffi offenbar gar nicht. Durch die Geräusche und Schwingungen nervös geworden durchbrach er schon nach wenigen Metern die Seitenwand des Zuges und sprang in die Wupper. Verletzt wurde er dabei nicht. Im Gegensatz dazu brach bei den mitfahrenden Reportern eine Panik aus die zu einigen Verletztungen führte.


Haltestelle Völklinger Straße


Am 12. April 1999 ereignete sich der einzige tödliche Unfall in der Geschichte der Schwebebahn. In diesen Jahren wurde eine Generalsanierung der Bahn vorgenommen. Die Arbeiten fanden nachts statt. Dabei war vergessen worden eine Kralle, die das Baugerüst gehalten hatte, vor Betriebsbeginn zu entfernen. Triebwagen 4 war der erste Wagen der am Morgen unterwegs war. Er prallte auf das Hindernis wobei das vordere Drehgestell vom Wagendach abgerissen wurde und der Wagen in die Wupper stürzte. Fünf Fahrgäste starben und 47 wurden verletzt. Seitdem müssen nach Arbeiten an der Strecke erst Probefahrten durchgeführt werden.


Werther Brücke

Trotzdem ist die Sicherheitsbilanz um einiges besser als etwa bei Straßenbahnen oder gar Bussen, da Unfälle mit anderen Verkehrsteilnehmern bei der Schwebebahn mehr oder weniger ausgeschlossen sind. Man fragt sich warum das erfolgreiche und sichere Konzept kaum aufgegriffen wurde. Lediglich in Wuhan in China wurde 2023 eine Einschienenbahn in Betrieb genommen. Daneben wurden noch ein paar zweischienige Hängebahnen gebaut, etwa in Japan.


Am Bahnsteig 

Selbst wenn kein geeigneter Flusslauf vorhanden ist könnten Schwebebahnen zum Beispiel kostengünstig überall dort gebaut werden wo Autobahnen durchs Stadtgebiet führen, man denke nur an andere Städte im Ruhrgebiet, in den USA, Mexico City oder Rotterdam. Dort bräuchte man auch keinerlei Rücksicht auf historische Bebauung zu nehmen. Obwohl die Wuppertaler Schwebebahn noch mit einem Fahrer unterwegs ist könnte das System genauso gut völlig autonom betrieben werden. Es wäre mit Sicherheit besser als Buslinien auf einer eigens dafür gebauten Trasse.


Stadion am Zoo

Wuppertal hat mit seiner Vielzahl an verlassenen Industriegebäuden und einigen guten Museen doch einiges zu bieten. Obwohl es natürlich beim Vergleich mit Valparaiso oder San Francisco nicht so recht mithalten kann könnte man doch nochmal zurückkommen.


Endstation Oberbarmen

Die Geschichte der Schwebebahn kann man im Schwebodrom verfolgen. Neben einer Ausstellung zur Entwicklung und Technik der Bahn gibt es auch eine Virtual Reality Tour wo man eine Fahrt entlang der Wupper im Jahr 1929 nachvollziehen kann. Virtuell, aber trotzdem beeindruckend.


Vohwinkel

Quellen:
Informationspanele Schwebodrome


Vohwinkel