Tuesday, August 8, 2023

Neue Leiden des jungen Bahnfahrers (4)


Der Drogendealerzug


Der Zugbegleiter betritt das Abteil mit einem Tablett, auf dem er einen letzten Becher Kaffee und Snacks balanciert. „Sie werden mich doch nicht mit meinem letzten Kaffee wieder den ganzen Weg durch die Waggons zurück schicken?“ fragt er die paar Anwesenden. Es ist das erste Abteil des Zuges, gleich hinter dem Führerhaus. Durch die Scheibe vor mir kann ich schemenhaft den Lokführer bei seiner Arbeit und einen Ausschnitt der Strecke vor dem Zug sehen.


Vorbereitung für die lange Fahrt

Ich kaufe dem freundlichen Mann seinen letzten Kaffee ab. Milch hat er keine mehr dabei, verspricht mir aber, damit extra wieder zurück zu kommen um mir die Milch mitzubringen.


Von einem Mitfahrgast wird er angefahren ob er nicht dafür sorgen kann, dass es in diesem Abteil etwas kühler wird. „Oder funktioniert die Air-condition etwa auch nicht?“ Die vielen Fehler des Systems sind natürlich nicht die Schuld dieses armen Mannes, der aber leider an der Kommunikationsschnittstelle mit den erbosten Fahrgästen sitzt. ICE628 ist zwar pünktlich. Statt aus zwei Einheiten besteht er aber nur aus einer, deren Waggons deshalb überfüllt sind. In dem ersten, kleinen Abteil ist davon allerdings wenig zu merken. Während alle anderen Türen der Abteile bei Annäherung automatisch aufgehen, muss man bei diesem an der Spitze und dem Ende des Zuges einen kleinen Knopf drücken. Das sind die meisten Fahrgäste nicht mehr gewöhnt und laufen an der Tür vorbei.


Wegen eines technischen Fehlers gibt es im Bordrestaurant nur eine begrenzte Auswahl an Snacks und, wie fast immer, kühles Pils. Im Abteil ist es so warm dass es wirklich unangenehm ist. Dabei ist es draußen für die sommerliche Jahreszeit viel zu kalt.


Mein Telefon kann keine Verbindung mit dem Bord-Wlan machen. In diesem Fall weiß man nie ob das jetzt am Telefon oder am Wlan liegt. Die Unsicherheit wird so lange auf den Benutzer übertragen bis nach etwa zwei Stunden die erlösende Durchsage kommt, dass das Wlan wegen einer technischen Störung nicht funktioniert.

Mit 300 km/h entlang der Autobahn

Die Strecke Nürnberg – Würzburg ist wegen Bauarbeiten gesperrt und daher wird der Zug über Ansbach umgeleitet. Obwohl er im Schneckentempo fährt kommt er pünktlich in Würzburg an. Außerdem fährt er heute nur bis zum Kölner Bahnhof Deutz. Leute die weiter wollen werden von dort auf die S-Bahn verwiesen.


In der S-Bahn

Der obere Teil des Bahnhof Köln Deutz ist ein Prunkstück preußischer Bahnbaukunst. Er kreuzt eine moderne Ergänzung von zwei Fernbahngleisen, die ICE in Nord-Süd Richtung einen direkten Weg am Kölner Hauptbahnhof vorbei bieten sollen. Fluchend schleppen die Fahrgäste ihre Rollkoffer erst die Treppe nach unten zu der Unterführung, die die Fernbahngleise im unteren Bahnhof verbindet. Dann geht es wieder eine Treppe hoch zu dem Tunnel unter dem oberen Teil des Bahnhofs. Dessen Bahnsteige erreicht man dann über eine weitere Treppe. Es gibt zwar Aufzüge, aber wenn ein ganzer Zug am Aufzug wartet, kann man eventuelle Anschlusszüge gleich vergessen.


Im RE - Reginal Express

Im Sommer verlangt die NS für den ICE von Deutschland nach Amsterdam eine Platzreservierung. Wie sie das verarbeiten, weiß ich nicht, aber der Zug ist ausgebucht. Das erfährt man bei der online Buchung allerdings erst, wenn man alle anderen Buchungsschritte schon durchlaufen hat und als letztes den Bezahlvorgang einleitet. Ich muss daher den Zug über Venlo nehmen. Aus Deutschland wird er oft von Leuten gebraucht, die sich in Venlo zukiffen wollen oder dort Drogen abholen, die sie dann zurück nach Deutschland bringen. Daher habe ich den RE13 den Drogendealerzug getauft. Regelmäßige Kontrollen schrecken diese Leute nicht ab. Meistens werden dabei auch noch ein paar Schwarzfahrer enttarnt, die sich zwar ihre Drogen, nicht aber auch noch eine Fahrkarte leisten können. Viel einfacher wäre es natürlich die Drogen mit dem Auto über die Grenze zu bringen. Autofahrer werden nie kontrolliert. Als potenziellen Kunden der vielen Shopping Centers, mit denen das Land auf beiden Seiten der Grenze zugepflastert ist, will man den Autofahrern keine Schwierigkeiten in den Weg legen. Wahrscheinlich können sich viele der armen Schweine zwar die Drogen, aber weder eine Bahnfahrkarte noch ein Auto leisten.


Früher gab es einen direkten Schnellzug (Zugbezeichnung D) von Köln nach Den Haag. In Venlo wurde nur die Lokomotive gewechselt. Als Ersatz fährt heute der RE13 von Hamm über Düsseldorf nach Venlo. Die Nummer 13 hat der Zug wohl absichtlich bekommen. Pünktlich ist er selten. Kommt man von Köln, muss man den RE 8 nehmen und in Mönchengladbach umsteigen. Der RE8 kommt aus Koblenz und als ich in Köln Deutz einsteige hat er 5 Minuten Verspätung. In Mönchengladbach stünden 6 Minuten zur Verfügung um nach Venlo umzusteigen. Während der RE13 normalerweise immer Verspätung hat, scheint er gerade heute pünktlich zu sein.


Bahnhof Mönchengladbach noch vor der Einführung von RE8 und RE13

Obwohl jede Abfahrt aus einem Bahnhof ewig dauert, tut der Lokführer des RE8 sein bestes um die Verspätung zu verringern. Im Bahnhof Rheydt Odenkirchen sind es nur noch 2 Minuten. Die zögerliche Abfahrt gibt einem die Möglichkeit, die einmalige Bausubstanz eines des wenigen Bahnhöfe zu begutachten, der in dieser Gegend wohl nicht im Krieg zerstört wurde und daher seit den Zeiten der preußischen Staatsbahn KPEV wenig Veränderung erfahren hat. Eine historische, baufällige hölzerne Überdachung schützt Bahnsteige, wo die Reste des Kopfsteinpflasters mit der angreifenden Natur kämpfen.


Nun hat man bei der Deutschen Bahn manchmal das Gefühl, dass es eine geheime Abteilung gibt, die nur dazu da ist, neue Hindernisse und Ärgernisse zu erfinden um möglichst viele Fahrgäste in die Hände der Autolobby zu treiben. Einer der Mitarbeiter dieser Abteilung arbeitet im Bahnhof Mönchengladbach, einem weiteren vernachlässigtem Relikt preußischer Bahnbaukunst. RE8 bleibt vor dem Bahnhof Mönchengladbach so lange stehen, bis die Zeit zum Umsteigen in de RE13 auf wenige Minuten reduziert ist. Dann schleicht RE8 langsam an den Bahnsteig 5, wo gegenüber RE13 nach Venlo von Gleis 6 abfahren sollte. Aber kurz bevor der Zug den Bahnsteig erreicht, wird das Abfahrtsgleis des RE13 auf Gleis 8 geändert. Es ist 18.23. Man hat dann nach der Ankunft noch genau 2 Minuten um den Zug zu verlassen, die Treppe hinunter und durch die Unterführung zu rennen, und dann die andere Treppe wieder hinauf zum Gleis 8 zu kommen. Als alter Mann mit Rucksack ist das schwer in 2 Minuten, mit Rollkoffer unmöglich.


Als die Türen sich öffnen stürzt eine Menge von Leuten Richtung Treppe. Ich rufe einem zu er soll in der Tür der RE13 stehen bleiben um die Tür zu blockieren bis alle am anderen Bahnsteig sind. Wenn er nicht gewesen wäre, hätten wohl viele den Anschluss verpasst. Die RE13 fährt nämlich wahrscheinlich zum ersten Mal im Jahr 2023 pünktlich aus Mönchengladbach ab. Oben im Stellwerk kann man die hämisch lachenden Gesichter sehen, die sich lustig machen über Leute die mit Koffern Treppen auf und abstürzen.

Auch in Venlo ist die Umsteigezeit nur wenige Minuten. Die Strecke zwischen Mönchengladbach und Venlo ist von Dülken bis Kaldenkirchen auf einer Länge von 12 Kilometern nur eingleisig. Unser Zug bleibt vor dem eingleisigen Abschnitt mehr als 10 min stehen um auf einen verspäteten Zug aus der Gegenrichtung zu warten. Damit ist der Anschlusszug der Nederlandse Spoorwegen in Venlo weg. Gleichzeitig wird auch klar dass unser Zug auch ohne Probleme weitere 10 Minuten in Mönchengladbach hätte stehen bleiben und den Fahrgästen ein geruhsames Umsteigen ermöglicht hätte können. Ein weitere Beweis des guten Funktionierens der geheimen Abteilung zur Verärgerung der Fahrgäste.

Wartende Fahrgässte in Venlo

Die Bahnlinie nach Venlo war wohl ursprünglich schon mal zweigleisig. Man sieht noch die Pfeiler der Brücken und die Dämme und Einschnitte. Nach dem 1. Weltkrieg forderte eine Bedingung des Versailler Vertrags den Rückbau da Frankreich keine West-Ost Verbindungen zustand. Daran hat sich bisher nichts geändert obwohl die Strecke seit Jahren als überlastet gilt. Es ist typisch für die deutsche Bürokratie dass ein solcher Ausbau jahrzehntelang aufgeschoben wird während daneben Autobahnen wie Asphaltwürmer aus dem Boden schießen. Da die andere deutsch-niederländische Grenzverbindung über Emmerich auch überlastet und häufig wegen Bauarbeiten gesperrt ist, wird die eingleisige Strecke für zahlreiche Güterzüge gebraucht. Permanente Verspätungen sind die Folge. Mittlerweile haben sich die projektierten Kosten für den Ausbau von ursprünglich 50 auf 210 Millionen erhöht.


Lärmschutzwand im Bahnhof Feucht

Im deutschen Regierungsprogramm ist in den kommenden Jahren eine Zusatzfinanzierung von 85 Milliarden € für den Bahnverkehr vorgesehen. Kann es sein dass die deutsche Bahn diesen Betrag mehr oder weniger für Lärmschutzwände ausgibt? Statt neuer zusätzlicher Gleise schießen diese Wände in ganz Deutschland mit einer Geschwindigkeit aus dem Boden, die die beim Autobahnbau noch übertrifft. Auch die Strecke von Mönchengladbach nach Venlo kann davon profitieren. Die Pfeiler stehen, die Wände werden schnell hochgezogen. Man hat es hier einfach, denn die Wände können auf die Trasse gesetzt werden, auf der ursprünglich mal das zweite Gleis verlegt war. Ihr Abriss und Neubau wird also bei einem zweigleisigen Ausbau der Strecke noch zusätzliche Kosten verursachen.


Hier sehe ich zum ersten Mal dass diese Wände jetzt mit einer Katzentür ausgerüstet sind. Unten auf Bodenhöhe ist ein Loch, das groß genug für den Durchgang von suizidalen Eidechsen, Katzen oder Igeln ist. Damit sie es auch finden haben die Manager der DB auf etwa 2 m Höhe ein Schild mit einem Pfeil angebracht, das die Kleintiere auf die Lage des Schlupflochs hinweist. Alle paar hundert Meter gibt es auch eine Tür als Notausgang. Einen Zugang für Rettungsmannschaften bei einem Notfall gibt es nicht. Bei einer kilometerlangen Lärmschutzwand muss dann erst ein Teil abgerissen werden um an den Zug zu kommen. Es ist zweifelhaft ob lokale Feuerwehren das dafür nötige schwere Gerät haben. Man kann nur hoffen dass ein entgleisender Zug eine schwere Lokomotive hat, die die Lärmschutzwände für die Hilfsmannschaften aus dem Weg räumt.


Sturm auf den in Venlo angekommenen RE13


Auch die niederländischen Eisenbahnen sind stolz auf ihre geheime Abteilung zur Verärgerung von Fahrgästen. Oder sie sind einfach besorgt um die Fitness ihrer Fahrgäste. Der Zug aus Deutschland hält ganz am Ende des Bahnsteigs. Fast all Fahrgäste wollen weiter Richtung Eindhoven und von dort nach Amsterdam, Rotterdam oder Den Haag. Diese Anschlusszüge halten maximal weit entfernt von dem aus Deutschland angekommenen Zug an einem anderen Bahnsteig, den man nur durch eine Treppe im Bahnhofsgebäude erreichen kann. Auch hier macht sich ein Rollkoffer besonders vorteilhaft bemerkbar.


Hinweis im Bahnhof Venlo auf den Abfahrtsort des Zuges nach Deutschland: möglichst weit weg und ohne Dach über dem Kopf.....

Ein weiteres Ärgernis, das sich die geheime Abteilung einfallen hat lassen, ist die Absperrung der meisten niederländischen Bahnhöfe mit automatisierten Sperren, die man mit einer holländischen Chipkarte oder mit einem QR Code einer Fahrkarte öffnen kann. Letzteren funktioniert nur bei einigen wenigen Sperren, die als solche nur durch eine größere Breite von den anderen zu unterscheiden sind. Meistens funktioniert der QR Code aber sowieso nicht. Personal, das man fragen könnte, ist nie vorhanden. Aber es ist immer möglich schnell hinter jemand anderem durch die Sperre zu schlüpfen. Bei Abwesenheit von Personal fällt das doch keinem auf.


Wie zu erwarten ist der Anschlusszug Richtung Eindhoven weg als der Drogendealerzug RE13 in Venlo ankommt. Es beginnt zu regnen. Eigentlich sollten diese Züge alle 30 Minuten fahren. Eine Durchsage verkündet dass heute bei Helmond ein Zug liegengeblieben ist. Dadurch kommt es zu Verspätungen und Ausfällen. Natürlich hat auch die NS für solche unwahrscheinlichen Fälle, die sich täglich wiederholen, keinerlei Vorsorgemaßnahmen wie Abschlepplokomotiven oder Personal verfügbar. Durch den Ausbau von Weichen zur Kostenersparnis ist ein Ausweichen auf das Gegengleis auch unmöglich. Der Betrieb kommt durcheinander und kann nur durch Zugausfälle wieder ins Lot gebracht werden.


Ankündigung der Verspätung


Wartehalle am Bahnsteig in Venlo

Früher hingen in den niederländischen Zügen Zeitschriften von den Kleiderhaken. Von den niederländsichen Eisenbahnen verfasste Schriften voller interessanter Artikel. Das ist lange her. Heute hängt da ein in Folie eingeschweisstes Blatt in A4 das die Fahrgäste darauf hinweist was sie alles nicht machen soll. Der Gebrauch von Drogen wird nicht erwähnt. 


Personal zur Fahrkartenkontrolle ist immer verfügbar. In den Niederlanden rechnet man mit der Wut der erbosten Fahrgäste. Nur in der blauen Farbe unterscheidet sich die Ausrüstung der Fahrkartenkontrolleure von der eines militärischen Einsatzkommandos.


Sightseeing in der niederländischen Provinz


Einfahrt des Anschlusszuges in Eindhoven

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